Forschungsinhalte
1 Aus Eigeninteresse verfolgten Forschungsthemen
1.1 Handeln angesichts von Ungewissheiten
1.2 Vorstellungen Guten Lebens
In einem früh industrialisierten und heute relativ wohlhabenden Land wie Deutschland stellt die Befürchtung, die Umsetzung von Nachhaltigkeitspolitiken würde die Lebensqualität1 in diesen Ländern mindern, ein politisches Hemmnis für die Realisierung der Nachhaltigen Entwicklung dar.
Um zu Handlungsorientierung bezüglilch dieses gesellschaftspolitischen Hemmnisses zu gelangen, habe ich mich mit den folgenden Fragen auseinandergesetzt:
welche gesellschaftspolitischen Akteure vertreten diese Befürchtung und welche Akteure verneinen sie, und aus welchen Gründen? Werden dabei kontroverse Auffassungen Guten Lebens vertreten? – siehe dazu UBA-Berichte (2018), Pissarskoi und Singo (2024)
welche theoretischen Systematisierungen von Auffassungen Guten Lebens werden in der philosophischen, ökonomischen und psychologischen Forschung unterschieden? – siehe dazu Pissarskoi (2014)
Wie sollen andere Mitmenschen dazu angeregt werden werden, ihre Auffassung Guten Lebens zu verändern? – siehe Pissarskoi (unpublished) und Kollektiv “Unleasing Fantasy for Transformation”
1.3 Methoden der gesellschaftspolitischen Beratung
In meinen Forschungsarbeiten begründe ich normative Behauptungen2.
Seit ich in meinem Promotionsvorhaben mit der Aufgabe konfrontiert war, zu begründen, welches Klimaziel die Menschheit verfolgen sollte, beschäftigen mich Fragen nach angemessenen Methoden hierfür:
- Mit welchen Methoden können normative Behauptungen begründet werden?
- Welche Beitrag sollte wissenschaftliche Forschung zur Begründung normativer Behauptungen3 leisten?
- Welchen Beitrag sollten kreative Methoden – Design Thinking, Visionieren, fiktionales Erzählen – dabei spielen?
Umwelt- und Klimaökonom*innen verwenden computergestützte Modelle. so genannte Integrierte Bewertungsmodelle4, um zu analysieren, welche umweltpolitischen Szenarien zu welchen Wohlfahrtseffekten führen werden.
Ergebnisse von ökonomischen Analysen von umweltpolitischen Szenarien werden dafür verwendet, um politische Handlungsempfehlungen auszusprechen.
In meinen Arbeiten habe ich
- rekonstruiert, wie mit Hilfe von computergestützten umweltökonomischen Modellen Handlungsempfehlungen begründet werden (Pissarskoi 2014, 2016a);
- Einwände dagegen vorgebracht, mit Hilfe von IAMs Handlungsempfehlungen zu begründen (Pissarskoi 2014, 2016b, 2019);
- Vorschläge unterbreitet, wie computergestützte Modelle dazu genutzt werden könnten, politische Handlungsempfehlungen zu begründen (Pissarskoi 2016a, 2016b, 2019).
Gibt es Methoden aus der Philosophie bzw. ihrer Subdisziplin “Praktische Ethik”^[die sich dezidiert mit der Auseinandersetzung mit normativen Fragen in gesellschaftlichen Kontroversen beschäftigt[, mit denen Handlungsempfehlungen begründet werden können?
Bei gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um Auffassungen Guten Lebens bzw. um Werthaltungen gegenüber Alltagspraktiken5
spielen nicht nur Argumente, sondern auch Erfahrungen der Alltagspraktiken, Vorstellungen von möglichen Praktiken, Gewohnheiten und gesellschaftlichen Kooperationsformen eine Rolle.
Transdisziplinäre Forschungsmethoden bezwecken, Experimetierräume zu kreieren, in denen Menschen von außerhalb der Wissenschaft mögliche Praktiken ausprobieren, das Wünschenswerte imaginieren, Ideen und Vorstellungen entfalten und ausprobieren und idealerweise eine Wirkung hinterlassen.
Mit dem Kollektiv “Unleashing Fantasy” habe ich Visionieren-Workshops mitgestaltet. Dabei interessiert mich folgende Meta-Fragen zu unserem Vorgehen:
Wie subjektiv sind Visionen? Bzw. sind sie interpersonell teilbar? Wenn andere Menschen diejenige Vision, die ich attraktiv finde, nicht für erstrebenswert halten, begeht dann eine*r von uns einen Irrtum?
Wie vollständig sollten Visionen sein, die den Zweck haben, gesellschaftliche Handlungsorientierung zu unterstützen?
Wie weit dürfen sich Visionen vom Status quo abkoppeln, um relevant zu sein bzw. zur Handlungsorientierung beizutragen? Anders formuliert: wie durchgeknallt dürfen sie sein?
2 Gesellschaftspolitisch motivierte Themen
2.1 Ziele und Strategien Nachhaltiger Entwicklung
Wenn wir anerkennen, dass ein früh industrialisiertes und relativ wohlhabendes Land wie Deutschland seinen Ressourcenverbrauch und seine Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren soll, stellt sich die Frage, auf welche Weise bzw. mit welcher Strategie das am besten erfolgen sollte.
Seit der Mitte 2000er Jahre werden Visionen bzw. wirtschaftspolitische Strategien, die alle eine sozial-ökologische Transformation von früh industrialisierten Ländern anstreben, unter einer großen Vielfalt von Namen diskutiert: Green Growth, Green Economy, Circular Economy, Postwachstum, Degrowth, A-Growth etc.
Ich habe mich zum einen daran beteiligt,
- diese Diskurse zu systematisieren (Diefenbacher et al. 2015, Petschow et al. 2018).
- Die aktuell prominent diskutierten wirtschaftspolitischen Strategien, Degrowth und Green-Growth, beide als nicht überzeugend rechtfertigbar kritisiert (Petschow et al. 2018, Petschow und Pissarskoi 2025).
- auf der Grundlage dieser Kritik eine alternative Strategie mitentwickelt: die Vorsorgeorientierte Postwachstumsposition (Petschow et al. 2018, Petschow und Pissarskoi 2025).
- Zwischen 2011 und 2017 habe ich den Blog Postwachstum redaktionell koordiniert.
Den Begriff “Bioökonomie” nutzen insbesondere politische Institutionen des Globalen Nordens (z.B. OECD, Europäische Kommission, Bundesregierung) für Visionen einer Wirtschaftsweise und ihre wirtschaftspolitische Strategien, bei der die nicht-erneuerbaren Rohstoffe durch erneuerbare (bio-basierte) Ressourcen ersetzt sind. Realisierung einer Bioökonomie birgt ethische Konflikte: Auf der einen Seite liefert die Forderung nach intergenerationeller Gerechtigkeit einen Grund dafür, Nutzung nicht-erneuerbarer Rohstoffe zu mininimieren. Auf der anderen Seite benötigt eine Bioökonomie zusätzliche Biomasse, deren Erzeugung landwirtschaftliche Flächen braucht. Letztere sind bereits heute knapp, da Landflächen vielfältigen Bedarfen dienen.
Im Rahmen des Forschungsprojekts BATATA – Whose Bioeconomy? Tracing Visions of Socio-ecological Transformation and their Ethical Deliberation in Tanzania haben wir Konflikte zwischen Interessen der Länder Globalen Nordens, in denen Visionen der Bioökonomie entwickelt und politisch vorangetrieben werden, und Interessen der Bewohner*innen der Länder des Globalen Südens – in unserem Fall Tansania in Ostafrika, deren landwirtschaftliche Flächen in eine globale Bioökonome eingebunden werden sollen. Wir haben untersucht:
- empirisch: welche Visionen einer nachhaltigen Landnutzung marginalisierte Gruppen in Tansania haben: semi-nomadisch lebende Viehzüchter und Kleinbäuerinnen.
- ethisch: welche ethischen Konflikte diese Visionen mit sich bringen und welche Handlungsoptionen im Lichte dieser Konflikte sich rechtfertigten lassen.
In Diesem Blogbeitrag (dauerhafter Link) plädiere ich dafür, über die Ziele der Bioökonomie mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung zu reflektieren.
Gesamte Projektergebnisse sind über die Projektwebseite sowie auf dem Repositorium der Universität Tübingen zugänglich.
Eine Herausforderung, ein globales Klimaschutzziel zu begründen, liegt darin, dass die Folgen des Klimawandels sowie die Kosten des Aufwandes für Klimaschutz nur unpräzise vorhergesagt werden können. Selbst wenn die Menschheit sich darauf einigt, ein bestimmtes Temperaturziel zu verfolgen – wie das 1.5°C aus dem Pariser Abkommen in 2015 – bleibt noch zu klären, wie hoch die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre sein darf, um dieses Temperaturziel einzuhalten.
In meinen Arbeiten habe ich dafür argumentiert, ein solches Klimaziel mit Hilfe von Spezifikationen des Vorsorgeprinzips – ich habe das Kontrollierbarkeits-Vorsorgeprinzip vorgeschlagen (Pissarskoi 2018, unpublished) – zu rechtfertigen: Details in Publikationen zu Handeln angesichts von Ungewissheiten.
Unter Akzeptanz der von mir verteidigten Vorsorgeprinzipien sollte die Menschheit die Treibhausgaskonzentration auf das vorindustrielle Niveau (von max. 350ppm \(CO_2\)) so schnell wie möglich zurückführen.
Diese These habe ich in Pissarskoi (2014 und 2018) verteidigt.
2.2 Sozial-ökologische Transformationspolitik
In den folgenden Forschungsvorhaben habe ich dazu beigetragen,
- ökonomische Bewertungen von Klimaanpassungsmaßnahmen in Deutschland zu erstellen (econCCadapt)
- Visionen einer klimaresilienten Gesellschaft zu erarbeiten und politische Strategien zu ihrer Realisierung zu eruieren (Deutschland im Klimawandel
Dekarbonisierung der Energieversorgung in Deutschland erfordert eine umfangreiche Transformation des Energiesystems. Gesellschaftliche Konflikte bei der Realisierung dieser Transformation resultieren zum einen aus einer Uneinigkeit über die Ziele, die ein dekarbonisiertes Energieversorgungssystem leisten soll, und zum anderen aus hohen Unsicherheiten über die verfügbaren Technologieoptionen, ihre zukünftige Preisentwicklung, den Aufwand für ihre Realisierung etc.
Im Rahmen von den folgenden Forschungsvorhaben habe ich Wertkonflikte bei der Transformation des Energiesystems analysiert:
Nach welchen Kriterien sollte beurteilt werden, ob eine Nutzung von natürlichen Ressourcen gerecht oder ungerecht ist? – in den folgenden Aufsätzen mache ich Vorschläge dazu.
2.3 Technikfolgenbewertung
Im Rahmen des Projektes TWON werden digitale Twins von online sozialen Netzwerken (wie Facebook, Twitter/X, TikTok etc.) entwickelt. Das Ziel ist, die digitalen Twins dazu zu nutzen, um die Algorithmen der sozialen Netzwerke besser analysieren zu können. Verfügbarkeit von digitalen Twins von online sozialen Netzwerken birgt allerdings auch eigene Gefahren.
Um ein besseres Verständnis über die Chancen und Risiken von der neu entstehenden Technologie zu verschaffen und Governance-Optionen für diese Technologie zu identifizieren, habe ich in Kooperation mit den Entwickler*innen eine Ethik-Analyse erstellt.
Die wesentlichen Ergebnisse sind im Policy Brief zusammengefasst.
In einigen Forschungsvorhaben habe ich daran mitgewirkt zu analysieren, welchen Beitrag neu entstehende Technologien auf die Ziele Nachhaltiger Entwicklung haben können.
Footnotes
oder Wohlergehen oder Wohlstand oder soziale Wohlfahrt oder Gutes Leben↩︎
beispielsweise Aussagen darüber, welche Klimaziele gerecht bzw. erstrebenswert sind, welche Strategien gewählt werden sollen und welche nicht↩︎
wie Bewertungen oder Handlungsempfehlungen↩︎
Integrated Assessment Models (IAM): sie koppleln Teile ökologischer Systeme (beispielsweise den Kreislauf der Treibhausgase) mit ökonomischen Systemen und können berechnen, wie ökonomische Systeme (z.B. ökonomische Wertschöpfung) in Reaktion auf Veränderungen in ökologischen Systemen reagieren↩︎
beispielsweise: Welchen Einfluss hat vegane Ernährung auf die Lebensqualität? Wie wirkt ein Umstieg vom Auto auf Fahrrad und öffentliche Verkehsmittel auf die individuelle Lebensqualität?↩︎